NZZ Reportage

Mitarbeiter aus 52 Nationen arbeiten am Wiener Flughafen, gut ein Dutzend Glaubensrichtungen sind auf dem 1.000 Hektar großen Gelände vertreten. Als das Erstaufnahmezentrum Traiskirchen im Sommer aus allen Nähten platze, wurden hunderte Flüchtlinge aufgenommen. Wie funktioniert diese Mischung? Und vor allem: warum? 

„Yes we can“, sagt Henry M. und greift lachend an seine Baseballkappe. Der Schriftzug „Obama Mr. President“ ziert den schwarzen Stoff. „Wir schaffen das schon“, legt er nach und zitiert damit auch gleich Angela Merkel.
Im Gegensatz zur deutschen Bundeskanzlerin spricht M. nicht nur über die Aufnahme von Flüchtlingen; der Mitarbeiter des Wiener Flughafens ist generell davon überzeugt, dass Zuwanderung gelingen kann. Und vielleicht hat M. recht, zumindest was den Mikrokosmos in Wien-Schwechat betrifft. Dort scheint zu funktionieren, was im Rest des Landes und in weiten Teilen der Welt Verunsicherung und Ratlosigkeit hervorruft.
In den vergangenen Jahren wurde die Belegschaft des Vienna Airport zunehmend internationaler. Die liberale EU-Gesetzgebung und eine immer mobiler werdende Gruppe Arbeitnehmer aus der ganzen Welt haben dazu beigetragen, dass heute Menschen aus der ganzen Welt am Flughafen arbeiten.

52 Nationen Staatsangehörigkeit nach Land:
Afghanistan, Ägypten, Angola, Bosnien, Brasilien, Bulgarien, Burkina Faso, China, Deutschland, Finnland, Frankreich, Georgien, Ghana, Griechenland, Großbritannien, Indien, Irak, Italien, Japan, Kanada, Kasachstan, Kosovo, Kroatien, Kuba, Luxemburg, Madagaskar, Marokko, Mazedonien, Mexiko, Moldawien, Nepal, Niederlande, Österreich, Pakistan, Peru, Polen, Portugal, Rumänien, Russland, Schweden, Schweiz, Serbien, Slowakei, Spanien, Tschechische Republik, Tunesien, Türkei, Ukraine, Ungarn, Venezuela, Weißrussland
sind es im Moment. Je nach Zählart sind zwischen zehn und zwölf Religionen angeführter Bekenntnisse: altkatholisch, anglikanisch, buddhistisch, evangelisch, hinduistisch, islamisch, jüdisch, neuapostolisch, orthodox, römisch-katholisch, Zeugen Jehovas, ohne Bekenntnis vertreten: Es gibt Altkatholiken und Zeugen Jehovas, Hinduisten, Christen, Muslime und Juden.
„Der Glaube ist was fürs Wohnzimmer“, sagt M., „hier gibt es Arbeit, und die müssen wir machen.“ Er selbst ist vor mehr als zehn Jahren aus Ghana nach Österreich zu seiner Frau gezogen. Sein Kollege Elvis P. flüchtete 1993 aus Bosnien-Herzegowina vor dem Krieg, Raymundo S. verließ mit seinen Eltern vor 15 Jahren die Philippinen. Die drei arbeiten zusammen in einem Team auf dem Vorfeld, dort wird das Gepäck verladen und Flugzeuge vor dem Start und nach der Landung abgefertigt.
Später stößt noch Anderson M. dazu, er stammt ursprünglich aus dem Karibikstaat Trinidad und Tobago und arbeitet seit sechs Jahren am Flughafen. Die vier sind sich einig: Das Zusammenspiel von so vielen Menschen aus verschiedenen Ländern und Weltanschauungen basiert auf Respekt und Regeln. Wer unzuverlässig sei, bekomme Probleme im Team. Wer intolerant ist, erst recht.
Ein Flughafen ist per se ein ungewöhnlich internationaler Ort: Durchschnittlich 60.000 Passagiere zählt der Vienna Airport täglich, rund 5.000 Mitarbeiter arbeiten direkt bei der Flughafen Wien AG, insgesamt haben mehr als 20.000 Menschen auf dem Gelände ihren Arbeitsplatz.
Dass es bei so vielen Hintergründen, vor allem im Hinblick auf die angespannte politische Weltlage, nicht zu mehr Konflikten unter den Mitarbeitern kommt, ist nicht selbstverständlich. An einem deutschen Flughafen etwa habe es vor einigen Jahren zwischen den einzelnen Communities gekracht, die Auseinandersetzungen gingen bis zu Handgreiflichkeiten und Drohungen gegen Vorgesetzte, erzählt Christoph Lehr, Leiter der Personalabteilung der Flughafen Wien AG. „Ich will nichts schönreden, aber das kennen wir in Wien nicht“, sagt er.

Entwicklung der letzten Jahre
Verläuft Integration am Flughafen wirklich so reibungslos, wie das Mitarbeiter und Management behaupten? Und wenn ja: warum? Als Personalchef Lehr vor mehr als 15 Jahren angefangen hat, waren Mitarbeiter mit internationalem Background kaum ein Thema. Aufgrund der Sicherheitsvorkehrungen waren die meisten Angestellten noch österreichische Staatsbürger.
Die Sicherheitsvorkehrungen sind streng geblieben – jeder Mitarbeiter muss ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen können, in einigen Einsatzbereichen gibt es zusätzliche Überprüfungen durch das Innenministerium – die Arbeitsgesetze aber sind heute liberaler. Und so kam es, dass der Mitarbeiterpool in wenigen Jahren um viele Nationen erweitert wurde.
Die Führungskräfte werden in Schulungen sensibilisiert und erhalten interkulturelle Trainings. Lehr glaubt nicht, dass es deswegen so gut funktioniert. „Es ist die Durchmischung“, meint der Personalchef. „Patentrezept haben wir trotzdem keines.“ Im Recruiting werde darauf geachtet, dass keine Gruppe stärker vertreten ist als andere; auch ethnische Listen bei Betriebsratswahlen sind nicht gern gesehen. Mitarbeiter sollen sich integrieren, nicht polarisieren.
Vorstand Günther Ofner nennt den Flughafen einen „Integrationsschmelztiegel“. In einer E-Mail schreibt er, dass angesichts der Bevölkerungspyramide sogar um zusätzliche Arbeitskräfte gekämpft werden müsse. „Wir leben Integration und sie funktioniert klaglos. Ich denke, dass es in der Verantwortung der Wirtschaft liegt, sich aktiv darum zu bemühen.“
Fragt man Christoph Lehr nach der gesellschaftspolitischen Dimension von Zuwanderung, wird er nachdenklich. Er könne die Ängste verstehen, die mit den Berichten einhergehen, das Schaffen von Feindbildern. Aber auf der anderen Seite sei gerade die aktuelle Situation eine Riesenchance. Sie werde nur kaum kommuniziert. „Es ist auch für unsere Abteilung eine Bereicherung, wenn Mitarbeiter aus anderen Ländern von ihrem Familienleben erzählen, von religiösen Festen und ihrer Heimat.“
Das größte Asset von internationalen Mitarbeitern ist sicherlich Sprachkompetenz. Im Notfall können alle Passagiere mit Dolmetschern versorgt werden, auch der Zoll oder die Polizei greift gerne darauf zurück. Der Franzose Philippe B. etwa arbeitet seit 2013 als Service Officer am Flughafen. Eigentlich ist er ausgebildeter Dolmetscher und parliert auf Spanisch, Portugiesisch, Deutsch und Englisch. Respekt und Verständnis setze die Zusammenarbeit voraus. „Wenn die Gesellschaft so funktionieren würde, sähe die Welt ganz anders aus“, meint er.
Seine Kollegin Emra Y. ist Duty Officer und kümmert sich vor allem um die Arbeitsabläufe. Sie kommt ursprünglich aus der Türkei und spricht neben Deutsch und Türkisch auch Kurdisch. Österreich habe sie immer als offen und tolerant wahrgenommen. Deswegen habe auch sie gerne geholfen, als im Sommer spontan Flüchtlinge auf dem Gelände des Flughafens aufgenommen wurden.

Dauerhaftes Asylquartier errichtet
Rund 250 Menschen wurden in einer adaptieren Gerätehalle untergebracht. Es war als Notquartier für die Dauer der eklatanten Unterbringungsnot gedacht, als Asylwerber auf der Wiese in Traiskirchen schlafen mussten. Y. und viele andere Mitarbeiter wurden in ihrer Arbeitszeit freigestellt, um freiwillig beim Aufbau oder beim Übersetzen zu helfen. Eine bewegende, wichtige Erfahrung sei das für sie gewesen, sagt die junge Frau.
Im Winter wurde von der Flughafen Wien AG ein langfristiges Quartier für rund 400 Asylwerber auf dem Gelände errichtet. Das Rote Kreuz betreibt es, weiterhin engagieren sich Ehrenamtliche vom Flughafen. Das Flüchtlingshochkommissariat UNHCR lobte die Einrichtung als eine der „besten Betreuungsstellen des Landes“.
Nicht alle Mitarbeiter waren begeistert. „Das Projekt hat auch polarisiert im Unternehmen“, sagt Lehr. Die Meinungen über Flüchtlinge, die in Internetforen zu lesen sind, gibt es natürlich auch am Flughafen.
Das Management hat mögliche Unruhe bei der Belegschaft in Kauf genommen. „Wir wollen damit unsere gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen. Und letztlich auch ein Zeichen setzen, dass es um Taten geht und nicht um Verantwortungszuweisungen“, so Vorstand Günther Ofner. 

Quelle: NZZ/ Text: Julia Herrnböck; Video und Fotos: Lukas Wagner